Mit Vollgas durch die Wüste
- thecklau
- 7. Apr.
- 5 Min. Lesezeit

Von der Reiseagentur auf die Rallyepiste
Michael Riebel, 49 Jahre alt, Geschäftsführer eines Reisebüros, ist kein typischer Rallye-Fahrer. Erst vor wenigen Jahren hatte er das Motorradfahren nach einer langen Pause wieder aufgenommen – zunächst als Trotzreaktion auf die Einschränkungen der Corona-Zeit, doch schnell entwickelte sich daraus eine neue Leidenschaft. Seitdem sammelte er Stück für Stück Erfahrung im Gelände, fuhr auf Offroad-Pisten, nahm an diversen Trainings und kleinen Wettbewerben teil und träumte von einem echten Wüstenrennen. 2025 sollte es endlich so weit sein: seine erste Tuareg Rallye!
Aber anstatt mit einem leichten und wüstentauglichen Rallye-Bike wie einer KTM 450 Rally Replica anzutreten, wagte er das Abenteuer auf einer KTM 790 Adventure R – einer ausgewachsenen Reiseenduro. Ein echter Kraftakt, wie sich schnell herausstellte.
Tag 1: Die Ruhe vor dem Sandsturm
Die Rallye beginnt entspannt: technische Abnahmen, Fahrerbriefing, letzte Vorbereitungen am Motorrad. Doch Michael merkt schnell, dass noch einiges zu tun ist. Der Blinker ist beim Training abgebrochen, die Scheibe sitzt nicht richtig, das Navi muss justiert werden. Auch das Roadbook-System will überprüft werden: das ist Neuland für ihn, denn bisher navigierte er lediglich nach GPX-Tracks.
Am Nachmittag steht dann eine erste kleine Ausfahrt mit Teamchef Mike Wiedemann in die Dünen an – eine wichtige Gelegenheit, um sich an den tückischen Sand zu gewöhnen. Schnell wird klar: Die 200-Kilo-Maschine macht das Fahren nicht einfacher. Trotz Sandtrainings und einigen Erfahrungen im Tiefsand in Polen ist das Fahren in den Dünen deutlich schwieriger: Eine echte Herausforderung für Michael.
„In den Dünen merkst du sofort, wenn du zu viel oder zu wenig Gas gibst. als Neuling weißt du nicht, wie du die Dünen ‚lesen‘ musst um diese fahren zu können. Und wenn du dann erst einmal liegst, ist das Hochwuchten eine echte Tortur!“, berichtet er.

Tag 2: Kupplungsdrama und erste Herausforderungen
Gerade einmal die erste Etappe gefahren – und schon das erste große Problem: Die Kupplung macht schlapp. Mehrfaches Nachstellen bringt nichts, das Motorrad bleibt mitten in den Dünen liegen. Ein herber Rückschlag.
Doch Aufgeben ist keine Option. Leider kann im Biwak kein Team helfen: Kupplungen für 450er und 690er sind bei diversen Teams vorhanden, aber keine Teile für die „große“ 790er. Doch Michael und sein Team organisieren nach einigen Telefonaten mit lokalen Werkstätten Ersatz – und das bedeutet: insgesamt zwei Stunden Fahrt bis Merzouga, wo ein einheimischer Mechaniker noch Kupplungsscheiben auf Lager hat. 4.000 Dirham (400 Euro) wechselt den Besitzer, doch ohne dieses Ersatzteil wäre die Rallye für ihn vorbei gewesen, bevor sie richtig angefangen hätte. Der Mechaniker des Teams wechselt noch in der Nacht die Kupplung, und so kann es am nächsten Morgen weiter gehen.„Das gehört wohl dazu – improvisieren, Lösungen finden und weitermachen!“, sagt Michael mit einem Grinsen.

Tag 3: Eingesandet und ausgepowert
Die Etappe führt direkt durch die gewaltigen Erg Chebbi-Dünen. Weicher Sand, tückische Anstiege – und ein schweres Motorrad, das sich nur ungern wieder aufrichten lässt. Für die BigBikes waren es „nur“ wenige Kilometer in den Dünen, doch das ist wirklich kräftezehrend.
„Ich habe mich sicher zehnmal festgefahren. Jeder Sturz bedeutete: Motorrad erst aus dem Sand umlegen, freimachen, dann hochwuchten, schwitzen, fluchen!“, berichtet Michael. Doch mit der Zeit bekommt er ein Gefühl für den Untergrund. Kleine Anpassungen am Setup der KTM verbessern die Fahrbarkeit: erst als wirklich vollständig alle elektronischen Assistenzsysteme händisch deaktiviert wurden.
Dann fällt das Roadbook aus – genauer gesagt der Tripmaster und der Kompass. Das bedeutet, Michael weiß nicht wo genau er sich befindet, und wann er in welche Richtung abbiegen muss. Eine Katastrophe mitten in der Wüste. Doch Glück im Unglück: Zwei italienische Fahrer mit Teneres haben ebenfalls Orientierungsprobleme, gemeinsam navigieren sie sich mit GPS-Backups durch die Checkpoints und erreichen nach einem langen Tag sicher das Ziel und letztendlich auch das Hotel.

Tag 5: Tücken des Geländes – und eine dramatische Bergung
Ein vermeintlich leichter Abschnitt über 108 km erweist sich als eine der härtesten Prüfungen der Rallye. Weicher Sand, Geröll, ein 20 km langes Flussbett voller loser Steine – und dann das nächste Drama: Michael bleibt im Schlamm stecken und stürzt heftig. Trotz drei Meter Entfernung von einem Wasserloch war der Boden nur oberflächlich fest und trocken. Darunter großflächig Schlamm und Lehm.
„Die KTM war mit dem Vorderrad eingetaucht und ich stieg im hohen Bogen über den Lenker ab und landete unsanft auf dem Rücken“ erzählt er. Dank Protektoren und weichem Boden keine ernsthaften Verletzungen, doch die Maschine ist bis über die Fußrasten im Lehm versunken – kein Vor und Zurück mehr möglich!
Weder Handyempfang noch Wasser, aber zum Glück gibt es den GPS-Tracker mit Notruf-Funktion, eine Standard-Sicherheitseinrichtung der Rallye. Knapp 20 Minuten später ist der Bergungs-Truck da, doch dieser weiß aber auch nicht weiter. Der Vorschlag des Beifahrers: „Motorrad mit der Winde am Vorderrad herausziehen“, wird als zu unsicher erachtet. „Das Ding sitz so fest, dann reiße ich das auseinander“ kommentiert der Fahrer des 4x4 Trucks. Er fährt zur Bergung näher Richtung Motorrad – nur um selbst im Matsch einzusinken.Erst mit mehreren Schaufeln, großen Leitern als Hebel und vereinten Kräften kann das Motorrad gerettet werden. Kurz den gröbsten Schlamm entfernt und die Rallye geht weiter! Auch an diesem Tag erreicht Michael innerhalb des vorgegebenen Zeitlimits das Ziel.
„Ich wollte eine Herausforderung – und ich habe sie bekommen!“, sagt Michael lachend.
Finale: Durchbeißen bis zum Schluss
Am letzten Tag geht es durch tückischen Fech-Fech (sehr feiner Sand) und schnelle Schotterpisten noch einmal in die Dünen des Erg Chebbi. Michael hat inzwischen ein Gefühl für das Terrain entwickelt – aber nun macht die KTM Probleme. Kurz vor dem Ziel überhitzt der Motor und schaltet immer wieder ab, meist genau im falschen Moment: mitten im Anstieg. Hier hilft nur: Ruhe bewahren.
„Ich hatte das Motorrad in Gedanken schon mehrfach verkauft!“, gibt er zu. Immer wieder steigt der Motor aus, immer wieder muss er warten bis dieser sich etwas abkühlt und die Maschine wieder anspringt. Oft verbunden mit Fluchen, Umfallen und Aufrichten sowie dem Verbrauch der letzten Kraftreserven. Doch nach jeder kleinen Pause geht es wieder ein Stück weiter, bis schließlich der letzte Checkpoint erreicht ist. Geschafft!

Ein Neuling auf dem Treppchen?
Die Teilnehmer sprechen von der Tuareg Rallye 2025 als eine „sehr harte und anspruchsvolle“ Rallye. Täglich fallen Teilnehmer oder Fahrzeuge aus. Doch Michael Riebel beendet konsequent alle Etappen und verliert insgesamt wenig Zeit durch Strafen oder fehlende Checkpoints. Das führt zu einer Überraschung: mehrfach liegt er in der Tageswertung unter den Top3. Doch bei einer Rallye gilt: „am Ende kackt die Ente“. Daher heißt es, konzentriert und fokussiert fahren, bis zum letzten Kilometer.
Zur Abschlußparty der Tuareg Rallye dann die freudige Überraschung: Platz 3 in der BigBike Pro-Klasse – eine Leistung, mit der Michael nicht gerechnet hätte.
„Diese Rallye war ein Wahnsinns-Erlebnis. Ich kann es jedem empfehlen, der seine Grenzen kennenlernen will!“, lautet sein Fazit. Und wer weiß – vielleicht ist er 2027 wieder am Start.

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